Herr Ernst Grube, der seit vielen Jahren in Regensburg lebt, besuchte am 27.6.24 die beiden 9. Klassen der Nardini-Realschule. Er ist einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die die Schrecken des nationalsozialistischen Regimes noch am eigenen Leib erfahren haben und engagiert sich vielfältig für Erinnerungskultur und gegen das Wiedererstarken rechtsextremer und antisemitischer Gruppierungen. Auch der Mallersdorfer Bürgermeister Christian Dobmeier, mehrere Mitglieder des Marktgemeinderates, der Vorstand unseres Fördervereins sowie die Vorsitzenden des Elternbeirates nahmen sich Zeit, um Herrn Grubes beeindruckender Lebensgeschichte zu lauschen.
Da derzeit im Zusammenhang mit der schwierigen weltpolitischen Lage radikale und antidemokratische Parteien leider wieder großen Zulauf verbuchen und gerade die Jugendlichen, also auch unsere Schülerinnen, der medialen Einflussnahme dieser Kräfte ausgesetzt sind, sieht es die Nardini-Realschule als ihre Aufgabe, aktiv Stellung zu beziehen und ein klares Zeichen zu setzen.
In schwierigen Zeiten ein Zeichen setzen
So nimmt auch Direktor Thomas Dambacher in seiner kurzen Begrüßung explizit Bezug auf die Präambel der Bayerischen Verfassung, welche auf die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte, die Diktatur des Nationalsozialismus, verweist. Der Freistaat gibt sich diese demokratische Verfassung „angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern.“ Diese Segnungen sind für uns alle heute selbstverständlich geworden. Wir leben in einer Demokratie und in Freiheit, wir dürfen unsere Meinung sagen, wir haben unverrückbare Grundrechte. Und, wie so oft, wenn etwas sehr selbstverständlich geworden ist, läuft man Gefahr, es nicht mehr zu schätzen. Doch Demokratie, Rechtsstaat und Frieden sind nicht garantiert, sondern ein kostbares Gut, das nun wieder bedroht und angegriffen wird.
Gerade die Jugend, so Thomas Dambacher, sei durch die Kommunikationsform der sozialen Medien extremen Einflussnahmen ausgesetzt. Es werde nicht mehr diskutiert, sondern „geliked“ und „gedissliked“, nicht mehr über andere Meinungen nachgedacht, sondern polarisiert. Scheinbar einfache, plakative Lösungen machen die Parolen zunächst unpolitisch wirkender Beiträge attraktiv. Deshalb schätzt die Schule es sehr, dass Herr Grube sich aus Regensburg aufgemacht hat, um den Schülerinnen vor Augen zu führen, was es bedeutet, wenn ein Staat seine Menschlichkeit und seine Grundwerte verliert.
Kindheit im Unrechtsstaat
Herr Grube verbrachte mehrere Jahre seiner Kindheit in einem jüdischen Kinderheim in der Antonienstraße, da die Familie (die Mutter war Jüdin, der Vater Kommunist) nach der Zerstörung der Münchner Synagoge entmietet wurde. Dieser Aufenthalt dauerte, obwohl nur als vorübergehend angedacht, viereinhalb Jahre, da der Vater keine Wohnung für die fünfköpfige Familie finden konnte. Die drei Grube-Kinder lebten im Heim mit ca. 45 anderen jüdischen Kindern und trotz der bedrückenden Situation schildert der Zeitzeuge das Miteinander dort als etwas sehr Besonderes.
Er bekommt leuchtende Augen, wenn er über seine Erinnerungen an das dort gefeierte Lichterfest spricht und scheint in Gedanken an diese Gemeinschaft sichtlich ergriffen. Die Kinder geben sich Halt und sind füreinander da, wenn sie Ausgrenzung von anderen Gleichaltrigen auf der Straße erfahren. Zunächst durften sie weiter in die deutsche Schule gehen, allerdings in eigenen Klassen. Diese werden jedoch sukzessive zusammengelegt, bald ist kaum noch Unterricht möglich.
Eine Zäsur für den 9-jährigen Ernst ist das Jahr 1941, in welchem die Kinder gezwungen werden, den gelben Judenstern zu tragen. Warum sie nun neben all den Anfeindungen und Beschimpfungen auch noch diese Brandmarkung über sich ergehen lassen mussten, das, berichtet Herr Grube, habe er einfach nicht verstanden. Im selben Jahr ändert die Nazidiktatur ihr politisches Vorgehen: Ziel ist nun nicht mehr nur die Diskriminierung und Vertreibung der Juden, sondern die Vernichtung, die „Endlösung der Judenfrage“. Reichsweit kommt es zu Deportationen in die neu errichteten Arbeits- und Vernichtungslager. Auch für das Leben der Kinder im Heim hat das fatale Folgen – mitten in der Nacht steht die Gestapo vor der Tür und holt 23 Kinder aus dem Heim ab. Fast die Hälfte dieser Schicksalsgemeinschaft wird deportiert und, wie Herr Grube erst viel später erfährt, bereits fünf Tage danach in Litauen erschossen. Diese Erfahrung des erneuten Verlustes einer Gemeinschaft, die es durch den ungeheuren Einsatz der Betreuerinnen vermocht hatte, den Kindern ein Stück Zusammenhalt, Schutz und Heimat zu geben, verbunden mit der Frage: „Sehen wir uns wieder?“ nennt Ernst Grube, der hier eine Pause im Erzählen einlegen muss, eines der schlimmsten Erlebnisse seiner Kindheit.
Zwangsarbeit, Lager und Deportation
Währenddessen wurde Herrn Grubes Mutter von weiteren Repressionen getroffen. Sie verlor ihre Stelle als Krankenschwester und musste Zwangsarbeit leisten. Über 700 Münchner Juden wurden 1942 deportiert, die verbliebenen Kinder des Heims wurden ins Lager Milbertshofen bei München gebracht. Die Grube-Kinder waren dank ihres „arischen“ Vaters noch vor Deportationen geschützt, wurden jedoch mit den restlichen Kindern ins Lager in Berg am Laim verlegt. 1943 hieß es dann: „München ist judenfrei“, nur noch die Kinder aus „Mischehen“ blieben übrig und mit der Auflösung des Lagers kamen Ernst und seine Geschwister zu den Eltern zurück. Das bedeutete ein Leben auf engstem Raum, nachdem der Vater zumindest eineinhalb Zimmer gefunden hatte, vor allem aber auch ein Leben mit Ausgrenzungen und Anfeindungen, mit Schulverbot, mit Aufenthaltsverboten und mit Judenstern.
Die Familie lebt mit der Hoffnung, dass der Krieg für die Deutschen bald verloren sei und muss über die bedrückenden Lebensbedingungen hinaus noch damit umgehen, dass die Schwestern von Mutter Grube mit Ehemännern und Kinder deportiert wurden. Die Erinnerung an diese extrem belastende Zeit macht Herrn Grube noch heute betroffen und seine Stimme stockt, als er erklärt, dass niemand aus der Familie seiner Mutter die Jahre des Nazi-Terrors überlebt hat.
Als die Mutter schließlich 1945 doch noch den Deportationsbefehl bekommt, geht sie erst nicht hin, wird aber dann im Februar mit den drei Kindern abgeholt und mit einem der letzten Transporte ins Ghetto Theresienstadt gebracht. Dort wurde die Familie getrennt, aus dieser Zeit im Gedächtnis geblieben ist dem damals Zwölfjährigen vor allem der Hunger, bis am 8.Mai 1945 die Rote Armee das Lager befreit. Aufgrund einer Typhusepidemie dürfen sie jedoch erst sechs Wochen später nach München zurück und zu den prägenden Erinnerungen dieser Zeit der Rückkehr gehört für Ernst Grube die Tatsache, dass niemand seine Geschichte hören will. Diese Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit der Mitmenschen einem zwölfjährigen Jungen gegenüber habe ihn sehr getroffen, erzählt er.
Fragen des Publikums
Die Authentizität von Herrn Grubes persönlicher Erinnerung, die er zudem mit Fotos der Familie, der Lager und der Deportationen sowie mit Dokumenten, bspw. dem Deportationsbefehl seiner Mutter, dokumentiert, hat bei den Schülerinnen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Erlebnisse Ernst Grube im Kind- und Jugendalter widerfahren sind, erschließt sich für die 15- bis 16-Jährigen die Bedrängnis, Angst und Ausgrenzung sehr unmittelbar. In der anschließenden Fragerunde wollen sie deshalb wissen, ob er jemals daran gedacht habe, Deutschland zu verlassen. Doch dies stand weder in der Jugend noch als Erwachsener für Herrn Grube zur Debatte.
Vielmehr begann er bald, wieder in die Schule zu gehen, legte das Abitur ab, studierte und wurde Berufsschullehrer für Maler und Lackierer. Er begann politisch zu arbeiten, was ihm nach seinen dramatischen Erfahrungen ein besonderes Anliegen war und noch heute ist. Ernst Grube war lange Jahre als Sprecher der bayerischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes tätig, außerdem ist er unter anderem Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und im politischen Beirat des NS-Dokumentationszentrums der Stadt München. Für sein großes sozialpolitisches Engagement wurde er 2002 mit der Medaille „München leuchtet“ in Silber, 2017 mit dem Georg-Elser-Preis, 2021 mit dem Bürgerpreis Demokratie und 2022 mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt München ausgezeichnet. Bis heute ist er sehr viel in Schulen unterwegs und erzählt seine Geschichte, denn die Gleichgültigkeit der Mitmenschen, ist heute noch oft dieselbe. Politiker, die Ausgrenzung und Polarisierung betreiben, werden heute wieder salonfähig. All dies bereitet ihm Sorge und so wird er weiter junge Menschen einladen, mit ihm zu sprechen und zuzuhören, auf dass sich niemals wiederholen möge, was ihm als Kind widerfahren ist.
Tief berührt verabschieden alle Ehrengäste, Schülerinnen und Lehrer Herrn Grube mit stehendem Applaus und guten Wünschen. Vielleicht kann er die Schule für die nächsten 9. Klassen wieder besuchen? Die Schülerinnen sind sich einige: „Wir würden es ihnen auf jeden Fall empfehlen.“
Text und Fotos: Nardini-Realschule Mallersdorf
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